Römische Dekadenz

Der Vizekanzler Westerwelle ortet Gemeinwesen schädigende Dekadenz durch Personen, die sich einige Hundert Euro an staatlichen Leistungen erschleichen. Die Bezieher der 410 Mrd. Euro Zinseinkünfte, benennt er nicht. Gefährliche Dekadenz bildet sich bei Leuten, die – mit eigenen Jets und Yachten weltweit unterwegs – oft nicht wissen, wo ihr Überfluss an Vermögenseinkommen entsteht und wie sie ihn verprassen sollen. Leute, deren Reichtum sich durch Zinsgutschriften ihrer Banken vermehrt und deren Guthaben womöglich schon ererbt wurde.

Es mag sein, dass auch bei den ärmsten zehn Prozent aus dem Umfeld von Hartz IV einiges nicht immer ganz korrekt verläuft, aber die Unkorrektheit des reichsten Zehntels, die sich schon an den rund 300 Mrd. Steuerfluchtgeldern alleine in der Schweiz festmachen lässt, dürfte doch um einiges größer sein. Und was sind die 44 Mrd., die wir insgesamt für den „anstrengungslosen Wohlstand“ des ärmeren Zehntels aufbringen, gegen jenen „anstrengungslosen Wohlstand“, den das obere Zehntel mit mindestens 250 Mrd. alleine aus den jährlichen Zinseinkünften bei den Banken bezieht? Aus Zinseinkünften, die in allen Preisen stecken und die wir alle – auch jeder Hartz IV-Empfänger – mit jedem ausgegebenem Euro im Schnitt mit 40 Cent bedienen müssen!

Die prekäre Situation in unseren westlichen Gesellschaften ist keinesfalls die Folge überzogener Ansprüche der Bürger an den Sozialstaat, sondern die der ständig wachsenden Ansprüche des Kapitals – und hier vor allem des Geldkapitals – an das Sozialprodukt. Aber dies wird von Scheuklappenträger wie Herr Westerwelle nicht wahrgenommen. Gefährlich wird es für unser Gemeinwesen, wenn die Trägheit eingefahrener Denkmuster den Blick auf die tatsächlichen Zusammenhänge verhindert.

Helmut Creutz / Klaus Willemsen